Erläuterungen zu Schlüsselbegriffen neokratischer Staats- und Wirtschaftstheorie

Schlüsselbegriffe Demokratie / Neokratie:


Steuersystem, neokratisches
Steuersystem der Mehrspartendemokratie (mehrspurigen Demokratie). In diesem System erheben unabhängige Staatssparten je eigene Steuern zur Finanzierung der eigenen Ausgaben. Diese Steuern sind insofern zweckgebunden. So erhebt z.B. der Solidarstaat eine zweckgebundene Solidarsteuer.
Dieses Steuersystem ist detailliert dargestellt u.a. in: B. Wehner, Nationalstaat, Solidarstaat, Effizienzstaat, Darmstadt 1992, S. 123.

Beauftragungsverfahren / Beauftragungsmodell
Gegenmodell zum demokratietheoretischen Leitbild der Repräsentativität.
Im Modell der repräsentativen Demokratie soll sich in gewählten Parlamenten das Spektrum der politischen Präferenzen der Bürger möglichst genau abbilden. Mit dem Wandel der politischen Aufgabenstellungen verliert diese Repräsentativität aber gegenüber dem Ideal einer hohen Problemlösungsfähigkeit immer mehr an Bedeutung. Nach neokratischem Staatsverständnis sind politische Entscheidungsinstanzen daher vorrangig nach dem Kriterium der Problemlösungsfähigkeit zu formen. Sie erhalten von den Bürgern einen längerfristig angelegten Problemlösungsuftrag unter weitgehendem Verzicht auf Repräsentativität im soziologischen Sinne.

Differenzierungsanspruch
(Gegenpol zum Gleichbehandlungsanspruch) Der Anspruch von Arbeitskräften, das eigene Arbeitsentgelt nicht durch den nivellierenden Effekt von Gleichbehandlungsansprüchen mindern zu lassen. Dieser Anspruch wird u.a. gestärkt
durch das Leistungsethos.

Dritter Weltkrieg
S. u. unter schleichender dritter Weltkrieg.

Fiskalrat
In der neokratischen Staatsordnung das für die Finanzverfassung zuständige verfassunggebende Organ des Verfassungskongresses.

Informeller Verfassungsrat
Ein spontan gebildetes, noch nicht aus förmlichen Wahlen hervorgegangenes Verfassungsentwicklungsgremium, eine Art „runder Tisch“ also in Verfassungsangelegenheiten. Ein informeller Verfassungsrat versucht, die Argumentation, den Diskurs und die inhaltliche Arbeit eines künftigen formellen Verfassungsrats so weit wie möglich zu antizipieren und öffentlich zu kommunizieren.
Zur Arbeit eines informellen Verfassungsrates s. den Verfassungs-Rat-Geber.
S. dort insbesondere Informeller Verfassungsrat.

Iteratives Legitimationsverfahren
Verfahren der regelmäßig wiederkehrenden Bestätigung der Verfassung – und damit der Staatsordnung – durch die Bürger.
In diesem Verfahren hält ein unabhängiger Permanenter Verfassungsrat bzw. ein Verfassungskongress in regelmäßigen Abständen (z.B. alle 6 Jahre) Volksabstimmungen zur Gültigkeit der Verfassung ab. Eine Verfassung bleibt nur gültig, wenn sie dabei mit hoher verfassunggebender Mehrheit von den Bürgern bestätigt wird. Wird die verfassunggebende Mehrheit verfehlt, hat der Permanente Verfassungsrat in vorgegebener Frist einen neuen Verfassungsentwurf vorzulegen.
Bis zur Bestätigung einer neuen Verfassung hat die Altverfassung in solchem Fall nur noch bedingte vorläufige Gültigkeit.
S. hierzu auch offene Verfassung und Permanenter Verfassungsrat.
Das iterative Legitimationsverfahren kann auch unabhängig von der Existenz eines unabhängigen Verfassungsrats bzw. Verfassungskongresses praktiziert werden, so z.B. von eigenständigen Staatssparten, die kein unabhängigiges verfassunggebendes Organ einrichten.

Kollektive Staatszugehörigkeit
S.u. unter Politische Assoziationsfreiheit.

Laienparlament
Zweite Kammer spezialisierter Parlamente im Spartenstaat.
Auch zweite Kammer zum Permanenten Verfassungsrat.
Bei der Besetzung von Laienparlamenten könnte das Losverfahren ein herausragende Rolle spielen (s.u. unter Losverfahren).
S. hierzu Die Logik der Bürgerbeteiligung
S. auch Verfassungsrat und Bürgerbeteiligung in der Neokratie

Losverfahren
Das in der herkömmlichen (so genannten modernen) Demokratie bevorzugte Verfahren zur Auswahl von Mandats- und Amtsträgern ist die Mehrheitswahl. Das Losverfahren hingegen, das schon in der athenischen bzw. attischen Demokratie eine wichtige Rolle gespielt hat, ist in der modernen Demokratie untergegangen. Bei wichtigen Anwendungen ist das Losverfahren aber das weitaus vorteilhaftere.
Im Konzept des neokratischen Spartenstaates kommt dem Losverfahren die Schlüsselrolle bei der Besetzung der Laienparlamente zu.

Mehrspartendemokratie
Synonym für Mehrspurige Demokratie.

Mehrspurige Demokratie
Organisatorische Grundform des neokratischen Staates.
In dieser Organisationsform werden dem herkömmlichen, politisch allzuständigen Staat Zuständigkeiten genommen, die dann als eigenständige Staatssparten verselbstständigt werden. Diese eigenständigen Staatssparten sind ihrerseits demokratisch verfasst.

Neokratie
(Kurzform von Neo-demo-kratie)
S. hierzu auch Definitionen und Einführungen in der Neokratie-Fibel.
Neokratie ist ein Sammelbegriff für eine Kategorie von Staatsformen, die sich aus der Weiterentwicklung der herkömmlichen Demokratie ergeben. (Die bestehende Demokratie ist insofern ein Vor- bzw. Frühform von Neokratie.)
Die Neokratie kann sich zu verschiedensten Formen einer Mehrspartendemokratie entwickeln und damit zu einer Demokratie weit höherer Leistungsfähgikeit.
Sie ist darüber hinaus die einzige Staatsform, in der die Bürger politische Assoziationsfreiheit erlangen.

Offene Verfassung (=systemoffene Verfassung)
Die durch die Verfassung vorgegenbe Staatsordnung muss sich dem Wandel gesellschaftlicher Anforderungen anpassen, insbesondere dem Wandel der Anforderungen an Staat und Politik. Da diese Anforderungen sich immer rascher wandeln, wird die Offenheit der Verfassung immer essentieller. Sie wird zu einer politischen Schicksalsfrage.
Offen kann eine Verfassung nur sein, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Die Verfassung muss klare und einfache Regeln für ihre eigene Veränderung enthalten.
2. Die Entwicklung der verfassten politischen Ordnung darf nicht in der Hand von Instanzen liegen, die ein Eigeninteresse am Erhalt der bestehenden Ordnung haben.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die Verfassungsentwicklung in der Hand eines Permanenten Verfassungsrates liegt und diesem ein iteratives Legitimationsverfahren vorgegeben ist.
S. hierzu Permanenter Verfassungsrat und iteratives Legitimationsverfahren.

Organisierter Dilettantismus
Organisationsprinzip des Parteienstaates, also der herkömmlichen Demokratie.
Der organisierte Dilettantismus ergibt sich aus der politischen Allzuständigkeit von Parlamenten, Parteien und politischen Spitzenämtern.
Wer als Politiker die Politik als ganze mitgestaltet (Allzuständigkeit), kann dies in den meisten Politikbereichen allenfalls dilettantisch tun. Sein Dilettantismus ergibt sich somit aus der Organisationsform des Staates, der allzuständige Parteien, Parlamente und politische Ämter schafft.

Permanenter Verfassungsrat
Der Permanente Verfassungsrat bildet im neokratischen Staatskonzept zusammen mit dem Fiskalrat und der Verfassungsbürgerschaft den __ Verfassungskongress__. Er ist eine politsch eigenständige, unabhängige, von den Bürgern gewählte spezialisierte Instanz, deren einzige Aufgabe die Verfassungsentwicklung ist.
Ein Permanenter Verfassungsrat stellt die ständige Offenheit der Verfassung für fällige Veränderungen sicher, d.h. für die Anpassung an den Wandel der gesellschaftlichen Anforderungen. Dabei bedient er sich des iterativen Legitimationsverfahrens.
Er hat ein jederzeitiges Vorschlagsrecht und eine moralische Vorschlagspflicht für fällige Verfassungänderungen.
Ein Permanenter Verfassungsrat ist ein Gremium von überschauberter Größe. Seine Mitglieder sind für lange Amtsperioden gewählt.
Dem Permanenten Verfassungsrat soll als zweite Kammer eine Verfassungsbürgerschaft als Laien-Verfassungsrat beigeordnet werden.

Politische Assoziationsfreiheit
Politische Assoziationsfreiheit ist das – in Referenden auszuübende – Selbstbestimmungsrecht über die kollektive Staatszugehörigkeit. Anders gesagt: Es ist die Freiheit der Bürger, direkt darüber zu entscheiden, wer mit wem die Staatsbürgerschaft teilt, also einen gemeinsamen Staat betreibt. Aus dieser Freiheit ergibt sich allgemeines, in Referenden auszuübendes Sezessionsrecht.
Im neokratischen Staatswesen könnten die Bürger diese Freiheit in verschiedenen Politikbereichen verschieden geltend machen. So kann z.B. der Kreis der Staatsbürger, die gemeinsam einen Solidarstaat betreiben wollen, ein anderer sein als der Kreis derjenigen, die gemeinsamen einen Geld-Staat (Währungsraum) oder einen Verteidigungsstaat mit eigenen Streitkräften betreiben wollen. In neokratischen Staatswesen kann hierüber in demokratischen Verfahren unabhängig voneinander entschieden werden. Dies eröffnet den Bürgern eine Freiheitsdimension, die herkömmliche Staaten íhnen vorenthalten.
Solche Art Freiheit ist natürlich kein Zustand, der sich in einem einmaligen politischen Akt ein für allemal etablieren ließe. Wie bei anderen politischen Freiheiten, müsste der Umgang auch mit dieser Freiheit von Politikern und Bürger behutsam und immer wieder neu eingeübt und vervollkommnet werden.

Proteststimme
Wählerstimme, mit der alle zur Wahl stehenden Alternativen als unzulänglich abgewiesen werden.
Eine förmliche Protestimmen, mit genau diese Aussage explizit getroffen wird, wird den Wählern demokratischer Staaten bisher vorenthalten.
Zur Bedeutung der Proteststimme und zu Möglichkeiten ihrer Durchsetzung s. die verbundene Website www.parteien-stop.de.

Schleichender dritter Weltkrieg
Der schleichende dritte Weltkrieg umfasst all jene Kriege dieses und des vorigen Jahrhunderts, deren Grund in der Verweigerung der politischen Assoziationsfreiheit (s.o.) liegt, der Freiheit der Bürger also, demokratisch über Staatszugehörigkeiten und damit über Staatsgrenzen zu entscheiden.
Diese Freiheit ist ein zentrales Element des Neokratiekonzepts.

Spartenstaat
Gesamtstaatsgebilde, das aus mehreren eigenständigen, auf einzelne Politikressorts spezialisierten Staatssparten besteht.
Synomym für Mehrspartendemokratie bzw. mehrspurige Demokratie

Staatlichkeit
Als Staatlichkeiten werden im neokratischen Verfassungsentwurf Institutionen mit je eigener Verfassung bezeichnet, die wesentliche Merkmale eines Staates im herkömmlichen Sinne aufweisen, aber nicht notwendigerweise dessen umfassende Zuständigkeit.
Die Staatlichkeiten des bestehenden Staatswesens sind der Bundesstaat und dessen Länder. Nach dem Neokratiekonzept werden neue Staatlichkeiten als ausgegliederte eigenständige Staatssparten geschaffen. Dazu gehört auch der "nach oben" ausgegliederte eigenständige Verfassungskongress als übergeordnete verfassunggebende Gewalt.

Staatsformenkonfigurator
= Staatsordnungskonfigurator

Staatsordnungskonfigurator
Eine noch zu schaffende Software, mit der Staatsordnungen virtuell baukastenartig zusammengestellt werden können.
Diese Software kann in der politischen Bildung und Forschung zum Einsatz kommen, in der historischen Darstellung von Staatsformen und auch als Hilfsmittel in der Hand künftiger Verfassungsräte.
Besondere Bedeutung erlangt der Staatsformenkonfigurator in Zusammenhang mit neokratischer Staatsentwicklung, bei der der herkömmliche allzuständige Gesamtstaat von einer Vielfalt spezialisierter Staatsorgane (Verfassungsräte, Staatssparten, Laienparlamente) abgelöst wird.

Staatssparte
Spezialisiertes, für einen einzelnen Politikbereich zuständiges, politisch eigenständiges Staatsgebide im Spartenstaat.
Die Staatssparte hat je eigene demokratische Strukturen (Wahlen, Parlament, Regierung).

Steuersystem, neokratisches
Steuersystem der Mehrspartendemokratie (mehrspurigen Demokratie). In diesem System erheben unabhängige Staatssparten je eigene Steuern zur Finanzierung der eigenen Ausgaben. Diese Steuern sind insofern zweckgebunden. So erhebt z.B. der Solidarstaat eine zweckgebundene Solidarsteuer.
Dieses Steuersystem ist detailliert dargestellt u.a. in: B. Wehner, Nationalstaat, Solidarstaat, Effizienzstaat, Darmstadt 1992, S. 123.

Systemoffene Verfassung
Siehe "offene Verfassung"

Verfassungsbürgerschaft
Im Neokratiekonzept die zweite Kammer der Verfassunggebung (s. Permanenter Verfassungsrat und Verfassungskongress).
Die Verfassungsbürgerschaft hat Merkmale einer Laieninstitution. Ihre Mitglieder sollen in einem kombinierten Los- und Wahlverfahren bestimmt werden.

Verfassungskongress
Im Neokratiekonzept das Institutionengefüge der Verfassungspoltik. Der Verfassungskongress besteht aus Verfassungsrat, Fiskalrat und Verfassungsbürgerschaft. Angegliedert ist das unabhängige Verfassungsgericht.

Verfassungspopulismus
Verfasssungspopulismus stellt sich ein, wenn die Verfassung zum Gegenstand der Tagespolitik wird.
Die Verfassung sollte von der expliziten Zustimmung der Bürger getragen werden (s. offene Verfassung), und diese Zustimmung sollte von einem Verfassungsrat regelmäßig neu eingeholt werden. Wenn hierfür aber die gleichen Verfahren angewendet würden wie für Wahlen in der herkömmlichen Demokratie, könnten sich auch in Verfassungsfragen immer wieder populistische Denkweisen ausbreiten. Die Wahlverfahren der Verfassungspolitik müssten daher andere sein als die in der herkömmlichen Demokratie üblichen. (S. auch Permanenter Verfassungsrat.)

Verfassungsrat
s. Permanenter Verfassungsrat

Wählerspezialisierung
Spezialsierung der Wähler auf einen oder mehrere Politikbereiche. Nur möglich in der Staatsform der Neokratie, in der zu einzelnen Politikbreichen separate Wahlen abgehalten werden.
Die Wählerspezialisierung kann freiwillig, sie kann aber auch im Wahlgesetz vorgeschrieben sein. Die Vorschrift könnte z.B. lauten, dass Wähler in maximal zwei Politikbereichen das Wahlrecht in Anspruch nehmen dürfen und dass sie sich auf diese Politikbereiche für mindestens zwei Wahlen im Voraus festlegen müssen. Dies würde natürlich die durchschnittliche Sachkompetenz von Wahlentscheidungen deutlich erhöhen. Es trüge auch dazu bei, dass Wähler sich auf diejenigen Politikbereiche konzentrieren, von deren Entscheidungen sie sich am stärksten betroffen fühlen. Es wäre somit ein Surragat für eine Stimmengewichtung nach Betroffenheit.
Das Fehlen dieser Gewichtung trägt in der herkömmlichen Demokratie wesentlich dazu bei, dass Wähler politische Entscheidungen als zunehmend beliebig empfinden und sich diesen Entscheidungen zunehmend ohnmächtig ausgeliefert fühlen. Den Ausweg hieraus weist die neokratische Staatsform.

Schlüsselbegriffe Sozialstaat, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Geldpolitik:


Arbeitsethos
Das Bedürfnis nach sinnstiftender Arbeit. Das Arbeitsethos ist u.a. ein Motiv, auch dann Erwerbsarbeit zu verrichten, wenn der Mindestlebensstandard ohne Arbeitseinkommen – z.B. durch staatliche Transferleistungen – gesichert ist. Verbreitung und Intensität des Arbeitsethos beeinflussen daher das Ausmaß der Arbeitslosigkeit. Sie tragen damit auch zur Erklärung von Unterschieden und vom Wandel des Ausmaßes von Arbeitslosigkeit bei.

Bürgergeld
Im Mittelpunkt der neokratischen Sozialstaatskonzeption steht das "echte" Bürgergeld, das auch als nachhaltiges Bürgergeld bezeichnet werden kann. Dies ist ein solidarisches Sockeleinkommen, das allen Bürgern einer staatlichen Solidargemeinschaft – unabhängig von Alter, Erwerbsstatus und anderen Merkmalen und Lebensumständen – kontinuierlich zu zahlen ist. Es hat den Charakter einer Bringschuld des Staates.
Das echte, also nachhaltige Bürgergeld deckt die Mindestkosten der Lebenshaltung nicht vollständig. Es ist so zu bemessen, dass jeder Bürger durch zusätzliches Arbeitsentgelt oder staatliche und private Versicherungsleistungen ein faires Mindesteinkommen erreichen kann. Nur ein so bemessenes Bürgergeld wäre finanzierbar und mehrheitsfähig.
(Der Begriff Bürgergeld – ursprünglich "Staatsbürgergeld" – wurde eingeführt in: B. Wehner, "Der lange Abschied vom Sozialismus" (1990). Ausführlicher dazu: "Der Neue Sozialstaat" (1992, 2. Aufl. 1997) und "Die Logik des Bürgergeldes" in B. Wehner, Die Logik der Politik und das Elend der Ökonomie, Darmstadt 1995, dies auch unter Logik des Bürgergeldes
Weitere Artikel zum Thema Bürgergeld:
Garantiertes Grundeinkommen – kein Ende der Irrtümer
Falschmeldungen zum Bürgergeld
Bürgergeld, Erbschaftsteuer und intertemporale Umverteilung
Bürgergeld und Betreuungsgutscheine
Weiteres im reformforum neopolis unter der Rubrik Sozialstaat

Differenzierungsanspruch
(Gegenpol zum Gleichbehandlungsanspruch) Der Anspruch von Arbeitskräften, das eigene Arbeitsentgelt nicht durch den nivellierenden Effekt von Gleichbehandlungsansprüchen mindern zu lassen. Dieser Anspruch wird u.a. gestärkt
durch das Leistungsethos.

Festzinspolitik
Die Festzinspolitik ist ein Verfahren zur Stabilisierung der Konjunktur und der Finanzmärkte durch die Zentralbanken.
Die Festzinspolitik hält den Nominalzins für risikofreie Geldanlagen einer bestimmten längerfristigen Laufzeit konstant. Dies erreicht sie durch Steuerung der Inflationserwartungen. Eine solche Politik zeichnet sich gegenüber herkömmlichen geldpolitischen Strategien durch höhere Verständlichkeit, Verlässlichkeit und Beherrschbarkeit aus.
Das Konzept wurde eingeführt in B. Wehner, Die Logik Geldpolitik, dies in: B. Wehner, Die Logik der Politik und das Elend der Ökonomie, Darmstadt 1995.
Verfügbar auch unter Die Logik der Geldpolitik (1)
S. hierzu auch Die Logik der Geldpolitik (2)

Gleichbehandlungsanspruch
Zentraler Begriff der im neokratischen Kontext verwendeten Arbeitsmarkttheorie.
(Antwort u.a. auf die Fragestellung: Wie große Arbeitseinkommensunterscheide nehmen Beschäftigte bei vergleichbarer Arbeit hin und wie stark ist unter welchen Umständern der Widerstand gegen diese Unterschiede?)
Die Intensität dieses Anspruchs ist im ständigen Wandel (s. auch Kontinuitätsanspruch). Sie wird in jüngerer Zeit durch Gewöhnung an die Marktmechanismen zurückgedrängt, die auf eine wachsende Ungleichheit der Arbeitseinkommen hinwirken, und auch durch politische Willensbildung.

Konjunkturgeld
Instrument zur konjunkturellen Stabilisierung im Kontext der Festzinspolitik.
Das Konjunkturgeld wird jedem Bürger eines Staates oder Währungsraumes monatlich ausgezahlt, solange dies zur Steuerung von Inflationserwartungen – und damit zur Stabilisierung der Konjunktur – erforderlich ist.
Das Konjunkturgeld sollte zweckmäßigerweise ein Zu- oder Abschlag zu einem allgemeinen Bürgergeld sein.
Das Konzept des Konjunkturgeldes in Zusammenhang mit dem Bürgergeld hat Auswirkungen auf die Bestimmung eines so genannten optimalen Währungsraumes (politisch und geographisch optimal abgegrenzter Geltungsbereich für eine einheitliche Währung).

Kontinuitätsanspruch
Neben dem Mindestsicherungsanspruch der zweite maßgebliche Anspruch für die Ausgestaltung des Sozialstaates.
Anspruch auf eine Mindestkontinuität der Lebensverhältnisse. Zunehmend gefährdet unter den Bedingungen einer global entfesselten Marktwirtschaft („Der flexible Mensch“, R. Sennet).
Der Anspruch manifestiert sich insbesondere als Anspruch auf eine gewisse Stetigkeit und Verlässlichkieit des Arbeitseinkommens, der Arbeitsbedingungen, der Arbeitszeit und des Arbeitsortes.
Die Intensität dieses Anspruchs ist im ständigen Wandel. Sie wird in jüngerer Zeit durch Gewöhnung an ein zunehmend unstetes Marktgeschehen zurückgedrängt, das zwangsläufig auch auf den Arbeitsmarkt, auf die Arbeitsbedinungen und auf die Arbeitseinkommensbildung durchschlägt. Auch die Politik versucht diesen Anspruch zu dämpfen, da sie gegen die Auswirkungen des unsteten Marktgeschehens zunehmend weniger auszurichten weiß.
Ein auch unter derzeitigen und künftigen Marktbedingungen wirksames Mittel zur Erfüllung von Kontinuitätsansprüchen wäre ein kontinuierlich gezahltes Bürgergeld.

Kontinuitätspolitik
Politische Maßnahmen zur Erfüllung des Kontinuitätsanspruchs.

Leistungsethos
Die Neigung, das Selbstwertgefühl an eine quantifizierte Arbeitsleistung zu knüpfen. Eine naheliegende Quantifizierung der eigenen Leistung ist das Arbeitsentgelt. Daher prägt das Leistungsethos auch den Anspruch auf die Höhe des Arbeitsengeltes.
Es hat insofern Bedeutung für die Arbeitsmarkttheorie und insbesondere für die Theorie der Lohnbildung.
Das Leistungsethos führt zum Anspruch auf ein Arbeitsentgelt in Höhe des eigenen Wertschöpfungsbeitrages. Dieses Arbeitsentgelt ist aber zumeist höher, als andere für gerecht halten. Insofern besteht ein ständiger Widerspruch zwischen Leistungsethos und Gleichbehandlungsanspruch.

Mindestsicherungsanspruch
Anspruch auf staatliche Unterstützung zur Sicherung eines als fair erachteten Mindestlebensstandards. Nicht identisch mit dem Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Dem Mindestsicherungsanpruch ist genüge getan mit einer Kombination aus bedingungslos gezahltem Bürgergeld und bedingten Einkommensbestandteilen wie Arbeitseinkommen oder Versicherungsleistungen. Um den Mindestsicherungsanspruch zu erfüllen, müssen vom Staat neben Versicherungen notwendigenfalls bezahlte Beschäftigung angeboten werden, um die Lücke zwischen Bürgergeld und fairem Mindesteinkommen zu schließen.

Nichteinmischungsanspruch
(zentraler Begriff der neokratischen Sozialstaatstheorie, eingeführt in: B. Wehner, Der Neue Sozialstaat, 2. Aufl. Wiesbaden 1997).
Der Anspruch, staatliche Zuwendungen und Vergünstigungen zu erhalten, ohne dass der Staat sich mit aufdringlichen Bedürftigkeitsprüfungen in die Privatsphäre des Bürgers einmischt.

Risiokoabsorption
Umverteilung von wirtschaftlichen Risiken hin zu den Wirtschaftakteuren, bei denen die Risikobelastung die geringsten negativen Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung hat.
Risioabsorption födert also Produktion und Beschäftigung.

Risikopolitik
Teil der Wirtschaftspolitik, wirtschaftliche Risiken, insbesondere die Risiken des Produzierens (Risiken unternehmerischer Entscheidungen) umverteilt. Politischer Bedarf an wirtschaftlicher Risikoumverteilung entsteht immer dann, wenn
- Wirtschaftsakteure – Arbeitskräfte wie Unternehmer – die ihnen zufallenden Risiken subjektiv für unzumutbar halten und daraus politische Forderungen herleiten
oder
- Die Risikobelastung des Wirtschaftens zu einer Schwächung der Wirtschaftstätigkeit und der Beschäftigung führt.
Da die Risikobelastung des Wirtschaften tendenziell zunimmt, ist tendenziell auch die Risikopolitik zunehmend gefordert. Der Staat zeigt sich als Träger der Risikopolitik aber auch zunehmend überfordert. In jüngerer Zeit hat er insbesondere eine Risikoumverteilung betrieben bzw. zugelassen, die Kapitalgeber unverhältnismäßig entlastet, Unternehmer und auch Arbeitskräfte dagegen unnötig belastet.

Solidarsteuer
Zweckgebundene Steuer für die ausschließliche Verwendung zur Einkommensumverteilung.
Die Solidarsteuer wird im neokratischen Staatswesen von einer spezialsiierten Staatsparte erhoben, die als einzige explizite Umverteilung betreiben darf.

Steuersystem, neokratisches
Steuersystem der Mehrspartendemokratie (mehrspurigen Demokratie). In diesem System erheben unabhängige Staatssparten je eigene Steuern zur Finanzierung der eigenen Ausgaben. Diese Steuern sind insofern zweckgebunden. So erhebt z.B. der Solidarstaat eine zweckgebundene Solidarsteuer.
Dieses Steuersystem ist detailliert dargestellt u.a. in: B. Wehner, Nationalstaat, Solidarstaat, Effizienzstaat, Darmstadt 1992, S. 123.